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 Betreff des Beitrags: Die Entwicklung des Gefahrenbewusstseins bei Kindern
BeitragVerfasst: 18.11.2008, 13:51 
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Registriert: 10.01.2005, 13:53
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Die Entwicklung des Gefahrenbewusstseins bei Kindern


Kinder machen Erfahrungen. Kinder geraten in Gefahr.

Kinder sind neugierig, manchmal ĂŒbermĂŒtig und unberechenbar und kennen ihre Grenzen noch nicht. Sie sind erhöhten GefĂ€hrdungen ausgesetzt, weil ihre kognitive und sensomotorische Entwicklung noch nicht ausgereift ist und sie ihr Verhalten noch nicht vorausschauend steuern können. Es gilt, durch eine kindersichere Umgebung Kinder vor Unfallquellen zu schĂŒtzen und durch klare Regeln sowie altersgerechte Beaufsichtigung die Risiken möglichst gering zu halten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Kinder durch den lernenden Umgang mit Gefahren ihre Handlungskompetenz erweitern und ihr Sicherheitsbewusstsein schulen.

UnfĂ€lle zĂ€hlen zu den grĂ¶ĂŸten Gefahren fĂŒr die Gesundheit von Kindern. Wenn auch bei Kindern mehr als 60 % aller UnfĂ€lle im hĂ€uslichen Bereich geschehen, so ist dennoch auch der Kindergarten ein Ort, an dem es vielfach zu UnfĂ€llen kommt. Im Jahr 2005 wurden vom Bundesverband der Unfallkassen deutschlandweit etwa 167.000 UnfĂ€lle in Kindertageseinrichtungen erfasst. Dabei ist das AußengelĂ€nde mit mehr als einem Drittel der UnfĂ€lle der hĂ€ufigste Unfallort, gefolgt vom Gruppenraum. Der typische Kindergartenunfall ist ein Sturzunfall mit ca. 70 % aller UnfĂ€lle.

Sicherheitsförderung ist eine Aufgabe, die Kitas aktiv betreiben sollten. Der erste Schritt: FĂŒr Unfallgefahren sensibilisiert zu sein und die Besonderheiten der Kinder im Umgang mit Risiken kennen und dementsprechend zu reagieren.

Kinder können sicherheitsbewusstes Verhalten lernen. Sie können schon im Kindergartenalter ein „akutes“ - also ein situationsbezogenes, wenn auch nicht vorausschauendes - Gefahrenbewusstseins erlangen. Durch gezielte Bewegungsförderung können Kinder gute motorische FĂ€higkeiten entwickeln und sich so auch in brenzligen Situationen fit, umsichtig und koordiniert verhalten.


Wie Kinder lernen, mit Gefahren umzugehen

Wichtige Grundlagen fĂŒr die Entwicklung des Gefahrenbewusstseins sind die Wahrnehmung von Schmerz und das GefĂŒhl der Angst. Kleinkinder haben in den ersten zwei Lebensjahren noch kein direktes Gefahrenbewusstsein. Sie wollen ihre Umwelt mit allen Sinnen - Hören, Sehen, Riechen und insbesondere FĂŒhlen und Schmecken - entdecken. Sie stecken alles in den Mund (was zu Erstickungsgefahren durch Verschlucken von Kleinteilen und/oder Vergiftungsgefahren fĂŒhren kann), ertasten Formen und erkrabbeln und erklettern alle erdenklichen Ecken. Dadurch entwickeln sich schon im Krabbelalter erste situationsbezogene AnsĂ€tze zu Vorsicht und Angst vor Schmerz - zumeist aufgrund bereits gemachter (schlechter) Erfahrungen, z. B. das Stoppen vor der Treppe und das Herunterkrabbeln der Stufen rĂŒckwĂ€rts. GewĂ€hren lassen fördert eigene Erfahrungen, Verbote und Eingreifen sind als Schutz vor Verletzungen notwendig, wobei ErklĂ€ren und Bewusstmachen der Gefahren das VerstĂ€ndnis fördern.

Im zweiten Lebensjahr beginnen Kinder, durch bewusstes Ausprobieren Lösungen fĂŒr risikobehaftete Situationen zu finden, z. B. Balancieren auf schmalen hohen Mauern. Gleichzeitig werden sie mit Wahrnehmung und Sprache dazu befĂ€higt, Begriffe fĂŒr Schmerz (Aua, Wehweh) sowie Verbote (Nein! Stopp!) zu verstehen und zu erinnern. ZusammenhĂ€nge zwischen Ursache und Wirkung werden nach und nach begreifbar. Im Kindergartenalter ist ein akutes Gefahrenbewusstsein vorhanden („der Topf ist heiß, ich darf ihn nicht anfassen“). Im Grundschulalter entwickelt sich das vorausschauende Gefahrenbewusstsein („der Topf steht auf dem Herd, er könnte heiß sein und ich könnte mich daran verbrennen“). Ab ca. 10 Jahren haben Kinder ein prĂ€ventives Gefahrenbewusstsein („bevor ich den Topf anfasse, nehme ich den Topflappen, damit ich mir nicht die HĂ€nde verbrenne“).


Tag fĂŒr Tag: Kinder entwickeln sich

Eine wichtige Voraussetzung fĂŒr das entstehende Gefahrenbewusstseins ist die Entwicklung der Sinne und der Koordination. Kinder lernen von Anfang an, schon als SĂ€ugling. Mit zunehmendem Wahrnehmungsvermögen, Denkvermögen und den gemachten Erfahrungen nehmen die kognitiven, motorischen, emotionalen und sozialen FĂ€higkeiten zu. Im Verlauf ihrer Entwicklung sind Kinder so in der Lage, ein Gefahrenbewusstsein zu entwickeln.

Sicherheitserziehung muss sich an den individuellen Entwicklungsschritten orientieren. Kinder sehen, hören und fĂŒhlen anders als Erwachsene. Kindliche Entwicklung zu verstehen hilft, Kinder vor Gefahren zu schĂŒtzen. Die Besonderheiten der kindlichen Wahrnehmung, der Reaktion und der Bewegung haben zur Folge, dass Gefahren nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden; das Kind auf eine Gefahr zu spĂ€t, unangemessen oder gar nicht reagiert.


Kinder sehen und hören anders

Wir alle nehmen unsere Umwelt stĂ€ndig bewusst und auch unbewusst wahr. Wir sehen, hören, tasten, riechen, schmecken, fĂŒhlen KĂ€lte und WĂ€rme und VerĂ€nderungen in unserem Körper. Unsere Wahrnehmungen sind jedoch nur zum Teil von den tatsĂ€chlichen Reizen bestimmt. Die Beschaffenheit der Sinnesorgane spielt eine Rolle dabei, wie viel und was wir wahrnehmen können. Ebenso ist die Verarbeitung der Reize im Gehirn von Bedeutung. Sie hĂ€ngt von frĂŒheren Erfahrungen und EindrĂŒcken ab. So beeinflussen die Erfahrungen, WĂŒnsche und die momentane Aufmerksamkeit sĂ€mtliche SinneseindrĂŒcke und formen mit ihnen zusammen unsere Wahrnehmung – und so auch den Umgang mit Risikosituationen.

Ein Kind kann frĂŒhestens mit zwei Jahren die Tiefen eines Raums wahrnehmen. Zuvor sind in seinem VerstĂ€ndnis Dinge so groß, wie sie wirklich sind, entfernte Dinge erscheinen ihm genauso klein wie sie aussehen, z. B. ein Baum aus der NĂ€he im Vergleich zu einem Baum in der Ferne. Erst allmĂ€hlich begreift das Kind, dass ein Gegenstand seine GrĂ¶ĂŸe beibehĂ€lt, auch wenn er auf Grund unterschiedlicher Entfernung unterschiedlich groß erscheint. Das Gesichtsfeld eines Kindes ist um ca. 30 Grad eingeschrĂ€nkt; was ein Erwachsener aus dem Augenwinkel sieht, sieht ein Kind noch lange nicht. Kinder sehen die Welt quasi von unten, also aus der „Froschperspektive“, wie ein auf dem Boden sitzender Erwachsener.

Sehen und Bewegung sind beim Kind noch eng verbunden. Kinder bewegen sich unmittelbar in die Richtung, in die sie schauen. Schaut ein Kindergartenkind, das Fahrrad fÀhrt, zum Beispiel auf eine bestimmte Seite, so lenkt es automatisch auch dorthin.

Bei kleinen Kindern ist die HörfĂ€higkeit gegenĂŒber Erwachsenen um ca. 10 dB vermindert. Bis zum 8. Lebensjahr gelingt die GerĂ€uschlokalisation nur in einem Winkel von 30 Grad. GerĂ€usche von hinten oder der Seite werden fehl gedeutet oder ĂŒberhört. Erst mit etwa neun Jahren können Kinder Entfernungen gut einschĂ€tzen.


Die kindliche Reaktion und Koordination

Bis zu einem Alter von 5 Jahren ist die Reaktionszeit noch etwa doppelt so lang wie bei Erwachsenen. Rollt z. B. ein Ball auf die Straße, starten Kinder erst verzögert. Der Autofahrer könnte deshalb annehmen, das Kind habe ihn kommen sehen. Die FĂ€higkeit zum plötzlichen Abbruch einer Bewegung ist stark verzögert; auch auf Zuruf kann das Kind nicht spontan stoppen oder einem Hindernis ausweichen. Die FĂ€higkeit zum plötzlichen Abbruch einer Bewegung ist stark verzögert; auch auf Zuruf kann das Kind nicht spontan anhalten oder einem Hindernis ausweichen.

Der Kopf eines Kindes ist im VerhĂ€ltnis zum Körper grĂ¶ĂŸer und schwerer als beim Erwachsenen. Kinder verlieren daher leichter die Balance, schwanken, stolpern und stĂŒrzen. Etwa die HĂ€lfte aller KinderunfĂ€lle sind StĂŒrze – je jĂŒnger das Kind, umso hĂ€ufiger auf den Kopf!

Die Unterscheidung von rechts und links lernen Kinder im Kindergartenalter. Aber erst ab 10 Jahren können sie auch „spiegelbildlich“ rechts und links bestimmen, das heißt erfassen, wo rechts und links beim GegenĂŒber sind.


Das Kind in seiner eigenen Welt

Kinder leben in einer Welt, die von ihren körperlichen Empfindungen und FĂ€higkeiten bestimmt wird. Alles, was sie erkennen und verarbeiten, verbindet sich mit TĂ€tigkeit und körperlichem Ausdruck. Sie sind impulsiv und sprunghaft. Was sie erleben, wird von der eigenen Sichtweise der Dinge und von GefĂŒhlen beherrscht.

Im Übergang zum dritten Lebensjahr entsteht beim Kind das Bewusstsein von sich selbst als Person, verbunden mit der Selbstbewertung eigener Handlungen und mit den GefĂŒhlen Stolz, Scham und Verlegenheit. Sicherheitserziehung muss darauf hinwirken, Kinder auf das Einhalten von Regeln und das Vermeiden von Gefahren stolz sein zu lassen. Bis 7 Jahre werden Kinder von eigenen Wahrnehmungen und GefĂŒhlen dominiert: „Was ich nicht sehe, ist nicht da“. Sie ĂŒbersehen deshalb viele Gefahren und können Hindernisse oftmals nicht antizipieren. Eigene GefĂŒhle und Wahrnehmungen ĂŒbertragen sie auch auf andere, z. B. Autofahrer: „Ich sehe das Auto, dann sieht mich der Fahrer auch“.

Im Kindergartenalter ist die Phantasie der Kinder besonders ausgeprĂ€gt (magisches Denken). Die EinschĂ€tzung eigener FĂ€higkeiten kann dadurch ĂŒbersteigert sein: der Stock wird zum Laserschwert, das Kind zu Supermann. Bis 5, spĂ€testens 7 Jahre folgt die Aufmerksamkeit dem stĂ€rksten Reiz, ohne die FĂ€higkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, z. B. laufen zwei Kinder ungebremst gegeneinander, weil sie beide den Luftballon fangen wollen. Die Vermischung von RealitĂ€t und Phantasie sowie hohe Ablenkbarkeit durch Reize, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind daher die wichtigsten Unfallfaktoren (z. B. der rollende Ball, der das Kind Hindernisse ĂŒbersehen lĂ€sst).


Sicherheitsförderung in der Kita – wie geht das?

Sicherheitsförderung kann ein positives Element im Kindergartenalltag sein. Anregungen fĂŒr gezielte Projekte zur Kindersicherheit bietet eine Praxismappe, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit fĂŒr Kinder in dem Kooperationsprojekt „Wir können das“ herausgegeben hat. Die Mappe, die www.kindersicherheit.de unter der Rubrik „Aktionen/Wir können das“ herunter geladen werden kann, beinhaltet sieben Projektanleitungen zur UnfallverhĂŒtung, die ohne großen organisatorischen Aufwand durchgefĂŒhrt werden können. Die Praxiselemente können nacheinander im Rahmen eines eigenen Schwerpunktes „UnfĂ€lle vermeiden“ behandelt werden oder als Bausteine in andere Themen z.B. „Bewegung“ oder „Jahreszeiten“ einfließen.

Mit der Praxismappe soll die UnfallverhĂŒtung als attraktives Thema fĂŒr die Kindergartenarbeit aufbereitet werden. Dazu werden vielfĂ€ltige Methoden vorgestellt, z.B. GesprĂ€che im Stuhlkreis, Experimente, Bastelanleitungen, Bewegungsspiele und Exkursionen. In zwei Fortbildungen in der Kneipp-BundesgeschĂ€ftsstelle in Berlin haben im letzten Jahr etwa 20 Kitas diese Mappe vorgestellt bekommen und viele praktische Übungen zum Thema „Risikokompetenz“ durchgefĂŒhrt.

Mit der Berliner Kita „Zwergenland“ hat die BAG Mehr Sicherheit fĂŒr Kinder beim Kindersicherheitstag 2007 eng zusammen gearbeitet. Gemeinsam wurde ein TheaterstĂŒck „Vier Gefahren“ konzipiert, geprobt und beim Kindersicherheitstag aufgefĂŒhrt. Die Arbeit in der KIta wurde dokumentiert und weiteren Kneipp-Kitas zur VerfĂŒgung gestellt. Bei Interesse können diese Unterlagen bei koordination@kindersicherheit.de angefordert werden.


Quelle: BAG Mehr Sicherheit fĂŒr Kinder e.V.

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Lis Dammann
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