Ertrinken zählt bei Kindern zu den häufigsten tödlichen Unfällen. Je nach Alter steht diese Unfallart an zweiter bzw. dritter Stelle der Unfallsterblichkeit bei Kindern.
Kleine Kinder – eine RisikogruppeFür kleine Kinder ist die Gefahr zu ertrinken besonders hoch. Kinder im Alter von 1-4 Jahren haben eine höhere Sterblichkeitsrate als 10-14Jährige. Die Todesfälle durch Ertrinken sind in den letzten 15 Jahren gesunken. Eine Ausnahme zu diesem Trend bildet nach Daten der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) der Sommer 2013, einem ungewöhnlich heißen Sommer mit entsprechend vielen Badeunfällen.
Ertrinken und andere TodesfälleDie amtliche Todesursachenstatistik 2013 des Statistischen Bundesamtes liegt noch nicht vor, weshalb sich die im Folgenden dargestellten Zahlen zur Gesamtzahl der tödlichen Unfälle auf das Jahr 2012 beziehen. Die Rolle des Ertrinkens als eine der häufigsten tödlichen Unfallarten wird aus der Tabelle ersichtlich. Ertrinken ist in allen Altersstufen eine große Gefahr. Die Umstände, unter denen Kinder ertrinken, sind jedoch nach Alter und Entwicklungsstand sehr verschieden.
Tödliche Unfälle von Kindern bis 14 Jahre 2012 - absolut und je 100 000 KinderUm differenzierte Aussagen zu den Unfallhergängen treffen zu können, ist die Betrachtung einer größeren Fallzahl notwendig. Dies erfolgte in einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes zum Verletzungsgeschehen bei Kindern für die Jahre 1998 bis 2011. Die Datenerfassung basiert seit 1998 auf dem Internationalen Klassifikationssystem ICD 10 - seither sind vergleichende Analysen möglich.
Säuglinge ertrinken meistens zu Hause. Die Daten von 1998 bis 2011 zeigen, dass in diesem Zeitraum 36 Säuglinge ertrunken sind, davon 27 - das sind 75% - zu Hause. Allein 19 dieser Fälle geschahen in der Badewanne.
1-4Jährige dagegen ertrinken am häufigsten beim Spielen am Wasser. Von den 483 Kindern dieses Alters, die von 1998-2011 ertrunken sind, passierten zwei Drittel nicht zu Hause, sondern an natürlichen Gewässern. Von den 54 Kindern, die in diesem Alter in einem Schwimmbecken ertrunken sind, geschahen die Unfälle bei 36 Kindern im Privatbereich und nicht in öffentlichen Schwimmbädern.
Kinder und Jugendliche von 5-14 Jahren verunglücken zumeist beim Baden gehen. 92 % der Ertrinkungsunfälle geschehen außerhalb des häuslichen Bereichs – aber nicht primär im Schwimmbad, sondern in Seen, Flüssen oder im Meer.
Beinahe-Ertrinken hat schwerste FolgenAuch wenn ein Kind nur "beinahe" ertrinkt, kann es innerhalb kürzester Zeit durch den Sauerstoffmangel bleibende schwerste Behinderungen erleiden. Experten gehen davon aus, dass auf jeden tödlichen Ertrinkungsunfall mindestens 5-10mal so viele schwer verletzte Kinder kommen.
Eine Dissertation (Thüner 2004) zu stationär behandelten Ertrinkungsunfällen bei 734 Kindern und Jugendlichen konnte zeigen, dass (Beinahe-)Ertrinkungsunfälle in jeder denkbaren Wasserstelle stattfanden, selbst bei einer Wassertiefe von 3 cm.
Insgesamt führte ein Ertrinkungsunfall in 11,5% der Fälle zum Tod, in 4% zum apallischen Syndrom (Wachkoma) und in 5,5% zu neurologischen Defiziten. 79,1% der Kinder überlebten den Beinahe-Ertrinkungsunfall ohne bleibende gesundheitliche Schädigung.
40,2% der Opfer waren zum Zeitpunkt des Unfalls zwischen ein und drei Jahre alt. Die Kleinen hatten besonders schwere neurologische Defizite. Bei 56,2% der untersuchten Unfälle spielte mangelnde Beaufsichtigung der Kinder eine Rolle, bei 23,3% war ein unbeabsichtigter Sturz der Grund des Unfalls. Jungen sind deutlich überrepräsentiert.
Eine weitere Dissertation (Bichlmayer 2008), die 76 Ertrinkungsfälle in bayrischen Kliniken untersuchte, zeigte, dass auch die Unfallorte Einfluss auf die Schwere der Schädigung hatten: Besonders gravierende Folgen hat- ten die Ertrinkungsunfälle in stehenden offenen Gewässern.
Etliche der Unfälle ereigneten sich trotz der Verwendung von Schwimmhilfen oder Schutzvorkehrungen an Swimmingpools oder Teichen.
Studienergebnisse zur SchwimmfähigkeitNach Daten des DLRG-Barometers aus einer repräsentativen forsa-Umfrage 2010 haben nur 50% aller 10Jährigen ein Jugendschwimmabzeichen erworben, können also als sichere Schwimmer bezeichnet werden.
Die Frage, wie „sicher schwimmen“ definiert und übe prüft wird, begründet die unterschiedlichen Raten, die verschiedene Studien ermittelt haben. Nach ersten veröffentlichten Ergebnissen aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert-Koch Instituts (2009-2012) geben 98% der befragten 11-17jährigen an, dass sie schwimmen können. Diese ausschließlich auf der Selbsteinschätzung der Befragten basierende Quote ist im Vergleich zu anderen Studien sehr hoch.
Bäderschließungen und der Trend zum (Aus-) Bau von Erlebnisbädern mit Verlust von Lehrschwimmbecken erschweren vielen Schulen die Möglichkeit, den im Lehrplan vorgeschriebenen Schwimmunterricht zu erteilen.
Schwimmen lernen – wie und woNach Daten der NRW-Praxisstudie 2006 lernen 36% der Kinder das Schwimmen in der Familie, 25% in einem Kurs und 14% in der Schule. Die Rahmenbedingungen beeinflussen die Qualität und Quantität des Schwimmen Lernens.
32,6% der untersuchten Grundschulen müssen eine Entfernung von ca. 3 km bis zur nächsten nutzbaren Schwimmhalle zurücklegen und 37,1% sogar von 10 km oder mehr (SPRINT Studie).
Fehleinschätzungen bei ElternDer AXA Kindersicherheitsreport 2014, eine repräsentativen Befragung von etwa 1.000 Eltern, ergab, dass bei vielen Eltern Wissenslücken zur Sicherheit im und am Wasser bestehen. 60% der Eltern glauben, dass man die Not ertrinkender Kinder eindeutig erkennt, was nicht der Realität entspricht. 13% der Befragten sind der Meinung, ein Kind unter drei Jahren kann kurzzeitig alleine in der Badewanne gelassen werden. Mehr als die Hälfte der Befragten geben an, vorhandene Wasserflächen im und am Haus, wie Teich, Wassertonnen oder Pool, nicht vollständig abzusichern.
Die BAG dankt den Mitgliedern des Fachbeirats Epidemiologie und besonders Annelie Henter und Dr. Heidrun Kahl für die Grundlagenarbeit zu diesem Datenblatt.
Quellen:
AXA (Hrsg.) Kindersicherheitsreport 2014, Köln 2014
Bichlmayer R: Ertrinkungsunfälle bei Kindern und Jugendlichen. Dissertation
München, 2008
DLRG Verbandszeitschrift Lebensretter 4 2013, S. 6
DSB-Sprint-Studie, Verlag Meyer & Meyer, Aachen 2006;
Ellsäßer G: Unfälle, Gewalt, Selbstverletzungen bei Kindern und Jugendlichen
2013, Ergebnisse der amtlichen Statistik zum Verletzungsgeschehen
2011.Wiesbaden 2014
Kurz D & Fritz T: Die Schwimmfähigkeit der Elfjährigen. Ergebnisse einer
empirischen Studie in Nordrhein-Westfalen. Schule NRW. Amtsblatt des
Ministeriums für Schule und Weiterbildung. 2007;2007(04/07):188–190 Robert-Koch Institut: KiGGS - Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland 2013
Statistisches Bundesamt: Todesursachenstatistik 2012,
http://www.gbe-bund.de Thüner C: Outcome von Ertrinkungsunfällen in Abhängigkeit von der Ursache
und der Erstversorgung in der BRD. Dissertation Würzburg 2004